Hessischer Verkehrsspiegel

SERVICE | Hessischer Verkehrsspiegel 03/2023 20 21 R isikoeinstufungssysteme spielen eine wichtige Rolle in verschiedenen Bran- chen und Organisationen, um potenzielle Risiken zu bewerten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Nicht anders in der Transportbranche. Auch hier gibt es in den Mit- gliedsstaaten der EU ein System für die Risikoein- stufung von Straßentransportunternehmen nach Maßgabe der relativen Anzahl und Schwere der von den einzelnen Unternehmen begangenen Verstö- ßen. Ziel des EU-einheitlichen Verfahrens ist, dass Unternehmen mit einer hohen Risikoeinstufung strenger und häufiger geprüft werden. Obwohl das System in Deutschland schon seit 01 zur Anwendung kommt, ist vielen Transport- unternehmern mit EU-Gemeinschaftslizenz oder GüKG-Erlaubnis Bedeutung, Inhalt und Anwen- dungspraxis dieses Systems nicht bekannt. Häufig unbekannt, aber immer wichtiger: das europaweit gelten- de Risiko-Einstufungssystem für das Straßentransportwesen Welche Schweregrade unter- scheidet das Risiko-Einstufungs- system? Wir verdeutlichen die einzelnen Schweregrade am Beispiel einer Überschreitung der täglichen Lenkzeit Vorbemerkung: Die täglich zulässige Lenkzeit beträgt 9 Stunden, wobei 2 mal in der Woche 10 Stunden zulässig sind. Wir gehen in den nachfolgenden Beispielen davon aus, dass die 2 mal 10 Stunden bereits absolviert wurden MI = geringfügiger Verstoß. Fahrer überschreitet die Lenkzeit um 45 Minuten SI = schwerwiegender Verstoß Fahrer überschreitet die Lenkzeit um 90 Minuten VSI = sehr schwerwiegender Verstoß Fahrer überschreitet die Lenkzeit um 150 Minuten MSI = schwerste Verstöße Fahrer überschreitet die Lenkzeit um 280 Minuten Welche Konsequenzen haben re- gistrierte Verstöße für das Unter- nehmen? Schwerwiegende (SI) und sehr schwerwiegende (VSI) Verstö- ße werden bei wiederholtem Vorkommen von der zuständigen Behörde eines Niederlassungsmitgliedstaats als schwerwie- gendere Verstöße angesehen. Dabei geht die zuständige Behörde von folgender Formel aus: 3 SI/pro Fahrzeug/pro Jahr = 1 VSI 3 VSI/pro Fahrzeug/pro Jahr = Einleitung eines nationalen Verfahrens zur Beurteilung der Zuverlässigkeit. Die Zahl der Verstöße pro Fahrzeug pro Jahr ist ein Durch- schnittswert, der berechnet wird, indem die Gesamtzahl aller Verstöße desselben Schweregrads (SI oder VSI) durch die durchschnittliche Zahl der im Laufe des Jahres eingesetzten Fahrzeuge geteilt wird. Die für die Überwachung der Kraftverkehrsunternehmen zuständigen Behörden werden bei Unternehmen, die mit einem erhöhtem Risiko eingestuft werden, gezielte Kontrollen vornehmen. Grundlage ist dabei die bei der Behörde geführte Unternehmensakte, in der die Verstöße und ihre Einstufung aufgelistet werden. Welche Verstöße führen zu einer Risikoeinstufung des Unternehmens? Das Risikoeinstufungssystem umfasst Kategorien und Arten von schwerwiegenden Verstößen gegen die Unionsvorschriften für den ge- werblichen Straßenverkehr. Dabei erfolgt eine Unterteilung in verschiedene Gruppen. Hier die wichtigsten: Gruppen von Verstößen gegen die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates (Lenk- und Ruhezeiten). Hier werden Verstöße gegen die einzuhaltenden Lenkzeiten, Fahrt- unterbrechungen und Ruhezeiten aufgelistet Aber auch Verstöße des Unterneh- mers gegen eine rechtskonforme Arbeitsorganisation, wie zum Beispiel, dass die Arbeit der Fahrer nicht so geplant ist, dass die Fahrer in der Lage sind, zur Betriebsstätte des Arbeitgebers oder zu ihrem Wohnsitz zurückzukehren Gruppen von Verstößen gegen die Verordnung (EU) Nr. 165/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates (Fahrtenschreiber). Besonders hervorzuheben sind hier Verstöße des Unternehmers/Fahrers gegen die Aufzeichnungspflicht der Symbole der Länder, deren Grenzen der Fahrer während der täglichen Arbeitszeit überquert hat Gruppen von Verstößen gegen die Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates (Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraft- verkehrs) Praxisrelevant sind hier Verstöße gegen die Mitführungspflicht einer gültigen Gemeinschaftslizenz oder einer gültigen beglaubigten Kopie der Gemeinschaftslizenz Neu aufgenommen wurden verschiede- ne Verstöße gegen die EU-einheitlichen Kabotageregelungen Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates (Rom I) (auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendendes Recht) Hier geht es um Verstöße gegen das auf den geschlossenen Beförderungsvertrag anzuwendende Recht (Rom-I-VO) Gruppen von Verstößen gegen die Richtlinie (EU) 2020/1057 des Euro- päischen Parlaments und des Rates (Entsendung von Arbeitnehmern im Kraftverkehr) Diese Gruppe beinhaltet Verstöße gegen die Entsenderichtlinie der EU; u. a. unvollständige oder sogar gefälschte Entsendemeldungen Gute Noten, schlechte Noten Foto: Shutterstock/VectorMine Thomas Weik, Ass. jur. berät seit 2000 Transport- und Logistikunternehmen, Schwerpunkt: Com- pliance-Management und Risikovermeidung.

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