Hessischer Verkehrsspiegel

6 7 S chüler nutzen es für Hausaufgaben, Redaktionen für News- texte, Unternehmen für die Kommunikation – ChatGPT ist in aller Munde und hat das Thema Künstliche Intelligenz (KI) in die erste Reihe gespült. Aber auch in der Logistik, Deutschlands drittgrößtem Wirtschaftszweig, findet sich enormes Potenzial für den Einsatz KI-basierter Software. Und in der Realität? Umfragen zeigen, dass ein Großteil der Unternehmen das exakt so sieht, die reale Umsetzung aber noch deutlich hinterherhinkt. Dabei sind Aufgaben wie Routenplanung oder Beladung gerade- zu prädestiniert für Automatisierung mittels KI: Alle einzelnen Vor- gänge vom Ein- und Auslagern, Verpacken und Transport etc. sind jedes für sich ein einfaches Problem und lassen sich mathematisch gut beschreiben. Wenn aber zum Beispiel Teilladungen mit verschiedenen Ladungsträgern im Vor-, Haupt- und Nachlauf koordiniert werden müssen, entstehen hochkomplexe Optimierungsprobleme (siehe auch S. 10, Sonnleitner). Zwar gibt es seit den 1990er-Jahren zahlreiche Software-Ansätze, die aber in der Praxis nicht vollständig überzeugen konnten. Am Ende war der Mensch der Software in der Regel über- legen. Mit den heutigen Möglichkeiten der Bereithaltung und Verarbei- tung von Daten ändert sich das: Weil KI in der Lage ist, komplexe Probleme zu verarbeiten und selbsttätig immer bessere Lösungen zu entwickeln – Stichwort Machine Learning (ML) –, wird auch die Logistikbranche immer stärker profitieren. Spezialisten sehen dabei zum Beispiel die Bedarfsprognose als eines der besonders stark profitierenden Felder. Weil KI und ML hier Sie zeigt überall da, wo es kompliziert wird, ihr größtes Potenzial: Künstliche Intelligenz. Machine Learning, künstliche neuronale Netze und mathematische Optimierung sind die spannenden Stichworte rund um das Thema, das Logistikern neue Chancen erö„net. Je komplexer, desto besser nämlich verschiedenste Datenströme auswer- ten und dabei neue Sachverhalte und Abhän- gigkeiten entdecken können. Eine Aufgabe, mit der ein menschliches Team überfordert wäre oder für das es erhebliche Ressourcen bräuchte, die meist nicht vorhanden sind. Ein anschaulicheres Beispiel ist die Er- kennung von Gefahrgutlabeln, die ja bei jedem Umgang mit einem gekennzeichneten Packstück eine große Rolle spielt. Ob es dabei um die Unterstützung der Mitarbeiter oder eine Vollautomatisierung geht: Vor- aussetzung ist die korrekte Erkennung der unterschiedlichsten Label, die auch unabhän- gig von der Kameraperspektive und Kamera- position zuverlässig funktioniert. Zusätzliche Herausforderung: auch neue Varianten eines Gefahrgutlabels müssen erkannt werden. Für das Machine Learning wird eine Musterverpackung, etwa ein Karton, von allen Seiten fotografiert. Ein sogenannter Segmentierungsalgorithmus erkennt auf den Fotos die Labels, welche im Anschluss von Menschen klassifiziert (getagged) werden. Mit diesen Informationen – den Fotos der Labels plus den Tags – wird dann die KI gefüttert und erzielt in mehreren Durch- gängen immer bessere Ergebnisse, bis hin zur automatischen Identifizierung selbst neuer Varianten. Mit solchen Methoden lässt sich zum Beispiel auch der Umgang mit Transport- hilfsmitteln effizienter gestalten. Für die in- dividuelle Erkennung einer Europalette sind dann nicht mehr Label oder Seriennummer notwendig, sondern es genügt die Holzma- serung, die als individueller „Fingerabdruck“ der Palette erkannt wird. Ein weiteres Beispiel: Überall dort, wo Transportgut manuell gehoben, getragen oder anderweitig bewegt wird, kann KI von doppeltem Nutzen sein. Dafür werden zunächst mittels von den Mitarbeitern ge- tragenen Sensoren (sogenannten Wearables) über längere Zeit Daten erhoben, die dann mithilfe von KI (in diesem Fall künstlicher neuronaler Netze) ausgewertet werden. Das neuronale Netz kann Muster erkennen wie zum Beispiel das Entnehmen eines Packstücks MACHINE LEARNING Computern das Lernen beizubringen wurde schon in den 1950ern als Auf- gabe gesehen. Zahlreiche Forscher haben sich daran versucht, die starren Algorithmen einer herkömmlichen Software nach dem Muster Eingabe > Berechnung > Ergebnis zu überwin- den. Stattdessen vergleicht Machine Learning die Eingabe mit dem Ergebnis und berechnet anschließend, wie der Algorithmus verbessert werden kann – was dann wieder zu besseren Ergeb- nissen und noch besseren Algorithmen führt. Ein Lernmuster mit deutlichen Parallelen zum menschlichen Lernen. Sogar ein Sprichwort gibt es dafür: „Übung macht den Meister.“ Die Leis- tungsfähigkeit des Machine Learning zeigt zum Beispiel die Software Alpha- Go Zero auf: Der Software wurden als Input lediglich die Go-Regeln mitge- geben – Go gilt übrigens als deutlich komplexer als Schach. Dann hat das Programm ausschließlich gegen sich selbst gespielt, jedes Spiel analysiert, seinen Algorithmus verbessert und es in nur 40 Tagen zum besten Go-Spieler der Welt gebracht. Eine Aufgabe, wie ge- macht für KI: das Aufzei- gen bisher unentdeckter Zusammenhänge Fotos: Shutterstock/greenbutterfly SCHWERPUNKT | Hessischer Verkehrsspiegel 03/2023

RkJQdWJsaXNoZXIy MzUyNzc=